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Landgemeinde Titz

„Raumstrategie“: Das Gesicht des Reviers verändern

Der Prozess ist eingeleitet und steht auf drei Standbeinen: Auf die Bestandsaufnahme folgen nun das Entwickeln von Bildern für die Zukunft und die Aufforderung an die Menschen, Ideen einzubringen

Heimat. Dieses Wort fällt im Kontext Strukturwandel selten. Warum eigentlich? Schließlich geht es genau darum: die Heimat von 2,4 Millionen Menschen auf einer Fläche von fast 5000 Quadratkilometern in eine vielversprechende Zukunft führen. Dass diese Menschen sichere Jobs haben wollen, wenn spätestens 2038 der letzte Braunkohlebagger stillsteht, ist ein Faktor, an dem der Erfolg sich messen lassen muss. Es gehört aber viel mehr dazu, damit es im nächsten Jahrzehnt über das Rheinische Revier heißt: „Da will ich hin, da macht Leben und Arbeiten richtig Spaß.“

Wesentlich fürs Wohlfühlen und Bleiben-Wollen ist der Lebensraum. Und der hat einen Wandel vor sich, der ins Auge fallen wird. Aufgerissene Erde auf riesigen Flächen, haushohe Bagger tun ihr Werk: Dieses Bild bietet sich heute Ausflüglern, wenn die Fahrradtour zum Skywalk am Tagebau Garzweiler oder zum forum :terra nova am Tagebau Hambach führt. Wo RWE jetzt noch Braunkohle abbaut, soll bereits die nächste Generation entstehende Seen, üppige Begrünung und zukunftsweisende Wohnkultur erleben. Solche Visionen rückt die „Raumstrategie Rheinisches Revier 2038+“ in den Fokus.

Hinter diesem Titel steht ein integratives Konzept, das über die Grenzen der sechs Landkreise sowie 65 Städte und Gemeinden hinausdenkt, die sich um die drei Abbaugebiete schmiegen. Statt nur die Flächennutzung eines begrenzten Bereichs zu planen, denkt die „Raumstrategie“ den Landschaftskörper des Rheinischen Reviers als Ganzes, stellt übergreifend Überlegungen an, wie vorhandene Infrastruktur sich nutzen oder verbessern ließe. Ganze Städte mit durchdachten Verbindungen von Wirtschafts- und Wohnflächen konzipieren Studierende und Fachleute in Gebiete, wo in der Vergangenheit Dörfer weichen mussten. Apropos: Die Menschen, die Umsiedlungen und Angst um ihre Arbeitsplätze erlebt haben, gestalten die Zukunft ihrer Heimat  mit.

Das ist dem Team (mehr dazu: siehe Hintergrund unten) immens wichtig. Der Prozess soll nicht an der Wirklichkeit und den Bedürfnissen derjenigen vorbei- laufen, die das Rheinische Revier mit Leben füllen. Ihnen eröffnet der für die „Raumstrategie“ verantwortliche Revierknoten „Raum“ der Zukunftsagentur Wege, sich zu beteiligen. Künftig ermöglicht dies vor allem eine interaktive Karte, die mit einer Kommentarfunktion dazu auffordert, Orte mit Notizen zu versehen und so einen Diskurs zu führen. Die Karte ist Kernstück des „Raumlabors“, eines von drei Standbeinen der „Raumstrategie“.

In der Vorbereitungsphase stand mit der „Raumdiagnose“ zunächst eine Bestandsaufnahme an. Gegebenheiten, Vorhaben, Interessen und Ziele von Initiativen vor Ort: Alles war wichtig. Auch oder sogar besonders das, was es nicht gibt. Ein lückenloses Verkehrsnetz etwa. Wer beispielsweise in Titz wohnt, aber in Köln arbeitet, überlegt sich zwei Mal, wie er von A nach B kommt. Die Entfernung beträgt zwar nur 38 Kilometer Luftlinie. Über Straßen sind es 57 Kilometer, aber mit dem Auto zu fahren, ist mit Blick aufs Klima bekanntlich nicht die beste Lösung. Allerdings verlängert die Entscheidung für den ÖPNV die Fahrzeit derzeit noch deutlich, im günstigsten Fall auf rund 100 Minuten. Dabei führt der Weg mit Bus und Bahn erst über Umwege – zum Beispiel über Jülich und Düren – ans Ziel. Diagnose: verbesserungswürdig.

Die „Raumstrategie“ will solche Probleme auf Basis des gesammelten Wissens integriert lösen, also mit Blick auf die lokalen Bedürfnisse, aber als Klammer für die Gesamtregion. Und zwar so, dass es am Ende funktioniert und dabei auch noch gut aussieht. Das prägt das dritte Standbein namens „Raumbilder“. Hierfür entwickeln drei interdisziplinäre Planungsteams konkrete Vorstellungen, wie Lösungen das Gesicht des Reviers verändern. Sprich: Wenn die Tagebaue sich tatsächlich mit Wasser füllen, wann schwimmen, segeln, paddeln dort Sportler? Welche Bauten schmiegen sich an deren Ufer? Verbinden Asphalt oder Schienen entstehende und bestehende Orte miteinander und mit dem Großstadtquartett Köln, Düsseldorf, Bonn, Aachen? Was müssen Dörfer bieten, damit Pendler mit ihnen liebäugeln, um Wohnungsnot und hohen Preisen in Städten zu entgehen? Wie lassen sich Freizeitanlagen für Mehrfachnutzungen konzipieren, damit wenig Flächenverbrauch einem hohen Zugewinn an Lebensqualität gegenübersteht?

Deutlich wird: Die Fragen, die alle an der „Raumstrategie“ Beteiligten stellen und beantworten, sind mannigfaltig und verknüpfen unterschiedliche Interessen.

Das ist etwas, was einzelne Fachgruppen und einzelne Kommunen allein nicht leisten könnten, weswegen die Region von dem Prozess profitiert. Von neuen Wohnkonzepten über Anreize zum Ansiedeln finanzkräftiger Arbeitgeber über Mobilitätsnetze, Freizeiträume, Renaturierungszonen, Schutz fruchtbarer Böden bis hin zu infrastrukturellen Herausforderungen, die sich aus dem Bedarf nach stabiler Stromversorgung und der mit leistungsstarkem Mobilfunk und Internet ergeben, ist das Feld weit. Die „Raumstrategie“ will den Rahmen bieten und die Wege bereiten, um revierweit passende Antworten und Bilder zu finden.

Klingt nach Zukunftsmusik, ist aber im Hier und Jetzt angekommen, denn der „Raumstrategie“-Prozess hat mit der Auftaktveranstaltung vergangenen Freitag begonnen. Die Internetseite www.raum-strategie.de ist online, die monatliche Online-Veranstaltung „Revier_Talks_Raum“ mit Fachvorträgen etabliert. Phase 0 ist absolviert, Phase 1 und 2 – „Raumbildvarianten“ erarbeiten und diese konkretisieren – in Form einer ausgeschriebenen Mehrfachbeauftragung eingeleitet. Gespräche, um eine Bürgerbeteiligung auf den Weg zu bringen, haben ebenfalls begonnen. Bleibt für den Moment also nur die Hoffnung, viele Menschen im Revier zu mobilisieren, sich für die „Raumstrategie“ zu engagieren, damit viele gute Ideen den weiteren Weg zu ihrer neuen Heimat bunt pflastern.

Hintergrund: Das Team hinter der „Raumstrategie"

Die Diplom-Architektin Christa Reicher führt den Revierknoten (RK) „Raum“ der Zukunftsagentur, der den „Raumstrategie“-Prozess verantwortet. Seit 2018 leitet die Universitätsprofessorin das Institut für Städtebau und Europäische Urbanistik an der Fakultät für Architektur der RWTH Aachen.

Dem gingen Professuren bzw. Lehraufträge an der TU Dortmund, der Hochschule Bochum sowie an den Fachhochschulen Frankfurt und Trier voraus. Qualifizierungsstrategien und nachhaltige Stadtentwicklung gehören zu ihren Expertisen.

Die RK-Leitung teilt sie sich mit dem Diplom-Kaufmann Ralph Sterck, der seit 2018 der Zukunftsagentur Rheinisches Revier als Geschäftsführer vorsteht. In ihrem RK-Team ergänzen sie der Diplom-Architekt Benjamin Casper, die Architektin MA Marie Enders, der Raumplaner MA Benjamin Vossen und als Teamassistenz zudem die Fremdsprachenkorrespondentin Christine Schrooten.

Alle  Kontakte  unter www.rheinisches-revier.de/ueber-uns/ansprechpartner

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